MICHAEL TURINSKY / Bewegte Begegnungen / Fachkonferenz "Das Recht auf inklusive Bildung" / September 2023
MICHAEL TURINSKY / Post-Work Relationalities, Disability and Contemporary Performance / swaying europe 0.1 / Juli 2016
In contrast to traditional working class struggles, centred around issues of employment, recent political theory has pointed out the importance and urgency of delineating the contours of a social imaginary beyond work. Affirming technological progress and its implications like full automatization of processes that so far have required the engagement of human labour but don’t do so anymore, authors like Nick Srnicek, Alex Williams and Paul Mason have proposes a radical project that crystalizes in demands for a thorough reduction of working time as well as basic income.
On the other hand recent performance studies have stressed the deep entanglement of contemporary artistic processes with neoliberal subjectivity as exemplified by increasing flexibility,
precariousness, collaboration, being on time etc.
In whatever way we may specifically conceive the complicated ties between art and politics – if art always to some extent proposes a kind of social imaginary pointing at the future, proposes,
invents or hints at a new form of relating, how can then art and especially performative art at least partially disentangle itself from neoliberal subjectivity and propose new ways of relating
and a different social imaginary that can be distinctively thought as „post-work“?
What about the disabled body’s inefficiency in terms of productivity, what about its „debility“ (Jasbir Puar)? What about affective dispositions like boredom, laziness and idleness? What about
different temporalities not only in terms of form but also in terms of artistic procedures themselves? As disabled and non-disabled artists and theoreticians, what would it mean for us who relate
to each other around a critical post-work positionality?
Audio-Mitschnitt vom Talk / swaying europe 0.1 / Mit Ana
Vujanović und Michael Turinsky.
MARTY HUBER / Was wir verlieren und gewinnen könnten ... / swaying Vienna / Februar 2015
„All das ist im Augenblick sexuell und obszön, weil das niemals außerhalb des Obszönen ausgearbeitet und kultiviert werden konnte, und die Körper, die dort tanzen, sind vom Obszönen unabtrennbar,
sie haben sich systematisch an das obszöne Leben gebunden, aber man muß diesen Tanz obszöner Körper zerstören, um sie durch den Tanz unserer Körper zu ersetzen.“ (Antonin Artaud: „Das Theater der
Grausamkeit“)
In eine Klammer gezwungen, zwischen dem Obszönen und der Revolution. Nicht nur dieser Text, auch die Körper sind dies, um die es hier geht.
David Toole tanzt den Walzer auf seinen Händen, eben mit jener schwebenden, wippenden Leichtigkeit, die ein Walzer braucht. Seine TanzpartnerInnen der Company DV8 verlegen ihre Beine ins
Horizontale, um mit ihm in eben jene schwebende, wippende Leichtigkeit zu tauchen, die ein Walzer auf Händen braucht. Was kostet das Leben? Die beschriebene Szene aus „The Cost of Living“ von
Lloyd Newson wirft uns eine immer aktuelle und für Österreich spezielle Frage zu: Ist da jemand? Wer tanzt und performt und wer blickt und bewertet? Artaud spricht nicht umsonst von obszönen
Körpern, die es zu verlieren gilt, es sind jene, die von der Szenerie, der Bühne verbannt wurden, oder selten erlaubt, als exotische Side-Shows geliebt, weil wir unseren obszönen Blicken genüge
tun wollen.
Zerstörten wir diese obszönen Körper und Blicke, könnten wir diese „durch den Tanz unserer Körper“ ersetzen, ein kompletteres, gerechteres Bild einer Gesellschaft und ihrer vielen künstlerischen
Ausdrucksformen schaffen. Man muss nicht verrückt sein, um MAD zu lieben. Die Vorstellung, dass weder die Kunst noch das Leben in seiner Vielfalt eine Grenze kennt, dass divers befähigte Menschen
miteinander tun, was sie tun müssen, nämlich sich künstlerisch ausdrücken, ist eigentlich banal. Nicht jedoch in einer Gesellschaft, die in ihrer klassischen Verblendung die eigentliche Bewegung
scheut, Angst hat und ihr deswegen Grenzen setzt und Barrieren baut. Nicht der „behinderte“ Körper ist obszön, es ist die Gesellschaft, die ihn umgibt.
Auch wenn der klassische Körper in Tanz und Performance nicht mehr alleine die Bühne bevölkert und tatsächlich hat konzeptuelle Kunst längst die Korsette dieser Ästhetik in Frage gestellt, sind
dennoch die Vorurteile gegenüber mixed ability Kunstprojekten evident. Während die Verwendung von Krücken im Mainstream des zeitgenössischen Tanzes angekommen ist (Wir erinnern uns an Marie
Chouinards „bODY_rEMIX / gOLDBERG_vARIATIONS“, 2005), während sich also der Mainstream der Krücken bedient, werden die Profis von der Bühne verbannt. Es ist an der Zeit in der Kulturlandschaft
Österreichs weiter zu gehen, den notwendigen Entwicklungen – die an anderen Orten seit geraumer Zeit schon abgeschlossen sind – zu folgen und die Räume zu schaffen bzw. zu zu lassen, die das
Verlernen des vor-urteilenden Blickes ermöglichen. Die Stadt Wien erhält das Angebot eine Vorreiterrolle einzunehmen und in erster Reihe die europäischen Szenerie zu verändern. Der
zeitgenössische Tanz hat die Werkzeuge dafür bereit gestellt, ob mit Alexander oder Release Technik oder mit Kontaktimprovisation.
Ansätze, die von mixed abled Compagnien schon lange in Trainings und Performances praktiziert werden. Bisherige Versuche in Österreich diesen Raum für Compagnien und SoloperformerInnen nachhaltig
zu erstreiten und zu ertanzen, sind immer wieder gescheitert, trotz ihrer Erfolgsgeschichten, wie etwa die von Bilderwerfer. Rückblickend könnte gesagt werden, waren Bilderwerfer (eine Ensemble
von Daniel Aschwanden) auf die Integration von disabled PerformerInnen in einen abled Tanzkontext ausgerichtet. Heute wäre es eine kleine Revolution, eine Produktionseinheit zu fördern, die sich
bewusst abseits des Integrationsgedanken stellt, die sich dem mixed abled Ansatz verschrieben hat.
„Versuch es! Es wird dich bewegen.“ sagt Steve Paxton anlässlich der Wiener DanceAbility Convention 2011. Denn es gilt reichlich zu verlieren – Angst, vorgefertigte Bilder, Sprachlosigkeit – und
das Vertrauen in die Vielfalt und Inspiration des menschlichen Körpers zu gewinnen, seiner schier unendlichen Kreativität.
„Und es genügte hierfür, sich an alle dramatischen, verdrängten und vergessenen Kräfte des menschlichen Körpers zu wenden. Es geht also dort wirklich um eine Revolution, und jedermann ruft nach
einer notwendigen Revolution, aber ich weiß nicht, ob viele Leute bedacht haben, daß diese Revolution nicht wahr wäre, solange sie nicht physisch und materiell vollkommen wäre, solange sie sich
nicht dem Menschen zuwenden würde, dem Körper des Menschen selbst, und sich nicht schließlich dazu entschließen würde, von ihm zu verlangen, sich zu verändern.“ (Antonin Artaud: „Das Theater und
die Wissenschaft“)
Was wir verlieren und gewinnen könnten...
ein Text von Marty Huber
für die MAD Initiative
JURIJ KONJAR / The No score / swaying Vienna / Februar 2015
A dancer's score for an improvisation performance, to the music of Goldberg Variations. This score was developed between observing and interpreting the processes of Steve Paxton's Goldberg Variations. 14.3.2010.
Music begins.
Wait for the movement to happen, patiently. When in the middle of movement keep open for change.
When in doubt, stop. While stoping, continue immediately, before planning.
Move fully into clear directions, without seeing the end shape.
When you get an idea, go for it, while including the above. Where observing self criticism, treat it as an idea.
When dancing for a public, include them in every way.
They are also moving, are part of the same breathing universe.
Include the obvious, the yours, the already done.
Don't fall in love and don't criticize.
Accept that mistakes and things of bad taste will happen.
Most of all, don't panic.
When you realise you're panicking, don't panic.
Observe.
Treat movement not as something that you do, but as something that is there and does not need you in order to be happening.
Go for a movement fully while being ready for change.
If you have a plan, observe it as it changes.
Music is just another part of the landscape, as is space, yourself, your wishes, your history, the audience, the movement.
Allow for constant shifts in focus, surfing amongst above elements.
Keep humour close. Don't plan and don't reflect on what has happened, while including the above.
"I" is not part of the landscape of the moment, neither is the view from the outside. The moment "I" comes into focus - stop and while stopping continue immediately, including all the
above.
Exit stage probably before music ends (music duration 51 minutes).
(excerpt from page 11 of "the Goldberg observations", published by Contact Quarterly, vol. 36 no. 2, 2011)
MICHAEL TURINSKY / Plädoyer für eine gewisse Taktlosigkeit / swaying Vienna / Februar 2015
Inklusiver Tanz entfaltet nur dort seine volle inhärente Kraft, wo die performative, tänzerische und choreographische Praxis behinderter und nicht-behinderter Künstlerinnen und Künstler ihre zugleich ästhetische als auch politische Relevanz behauptet. Neben den Dimensionen von Inhalt, Form und Produktion bzw. Distribution sowie den Kategorien des Raums, der Zeit und der Organisation sind es vor allem Geste und Affekt, die eine differenzierte Artikulation des politisch-ästhetischen „Einsatzes“ inklusiven Tanzes erlauben.
In einem das alltägliche Leben strukturierenden, von Ungleichheiten und Machtverhältnissen durchzogenen Feld der Gesten und Affekte können sich unterschiedliche performative und choreographische
Arbeiten als gestisch-affektive Texturen erweisen, die sich von dem „gewöhnlichen“ gestisch-affektiven Feld umgestaltend abheben – ohne freilich ihre Interpretationsoffenheit zugunsten
kalkulierter Wirkung aufzugeben.
Die kleine, aus dem Takt geratene Geste des schwerbehinderten Tänzers, gerichtet an sein Gegenüber; die große, kollektive Geste des inklusiven Tanzes, gerichtet an die Institutionen des
zeitgenössischen Tanzes – die dadurch evozierten kniffligen, zuweilen diskordanten Affekte drängen nach ebenso theoretischer wie praktisch-experimenteller Bearbeitung. Fragen von Organisation und
Desorganisation, Fragen im Zusammenhang mit unterschiedlichen „Organisationsniveaus“ und deren zeitlicher Verschiebung erweisen sich dabei von grundlegender politisch-ästhetischer Relevanz.
EVA EGERGMANN / That Outcast Thing. Crip-Popkultur, -Kunst und radikale soziale Bewegungen / swaying Vienna / Februar 2015
"Hello to you out there in Normal Land" lautet die erste Zeile des Songs SpasticusAutisticus (1981) von Ian Dury&theBlockheads, derwegen dieser ob seiner damaligen tabulosen Realitätsbeschreibungen von öffentlichen Radiostationen zensiert wurde. Die radikalen Texte und Performances erzeugten, was Ian Dury „that Outcast Thing” nannte, das die Band verkörperte: „At the time it was all glam rock, but there was none of that with us. It was just a bunch of guys you would see on a park bench with a can of Super Lager or something.“
Eva Egermanns Recherche beschäftigt sich mit widerständigen Praktiken, Aneignungen, sozialen Bewegungen und Popkulturen, die mit Devianz, Abnorm, Krankheit und Behinderung zu tun haben.
Verschiedenste Materialien finden sich in ihren künstlerischen Projekten wieder, reinszeniert, überarbeitet, zum Beispiel in Form einer Zeitung oder während einer Bandprobe.
Der Vortrag verweist unter anderem auf die "radikale Krüppelbewegung" und die Aneignung der Krücke als Knüppel, das"Sozialistische Patientenkollektiv" (SPK), das Krankheit als Protest gegen den
Kapitalismus formulierte, und nimmt insbesondere Bezug auf deren Verbindungen in Gegenkultur, Popmusik und Punk.
MICHAEL TURINSKY / Thinktank / swaying Vienna / Februar 2015
Was tun vor dem Hintergrund eines Scheiterns an den normativen Zumutungen der Gegenwart? War es seit jeher das Versprechen der Theorie, einen Schritt zurück zu treten vom unmittelbaren Geschehen, um somit den Blick zu öffnen, nicht nur für das weite Feld der Realität und ihrer auszugrabenden Determinanten, sondern ebenso für die Schlupflöcher des Realen, die untergründigen Fluchtwege, die aus dem Trott des common sense und der sterilen Gemeinplätze herausführen – so wollen auch wir den Schauplatz wechseln, die Bühnen in ihrer Vielfältigkeit von anderswo beleuchten, ein neues Licht werfen auf das, was vor unseren Augen auf dem Spiel steht.
Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt dabei einer Reihe unterschiedlicher kultureller Praktiken, die das erwähnte Scheitern an der Norm der körperlichen, affektiven oder kognitiven
Funktionstüchtigkeit, an der Norm des In-Takt-Seins gerade nicht als Mangel oder Defizit, sondern vielmehr als Widerständigkeit in Szene setzen. Crips, Freaks, Outlaws, Akteur_innen, die an den
geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen des performativen Kapitalismus, der Heteronormativität, der körperlichen Intaktheit und nicht zuletzt der Zeitgenossenschaft scheitern, die jedoch
zugleich die Einschreibungen wetzen, die Signifikanten scharf machen, Körpergrenzen überschreiten.
Das Alphabet der dabei in den Kampf oder ins Spiel geworfenen Körper und Affekte, das Alphabet der Lust und ihres „Negativs“, das Alphabet der performance von „dis/ability“, ihr vielfältiges
Vokabular auszubuchstabieren, zu übersetzen und an anderen Orten weiter zu schreiben – diese Absicht verfolgen Katarina Kolarova, Eva Egermann und Michael Turinsky von den ganz unterschiedlichen
Ausgangspunkten ihrer jeweiligen künstlerischen und theoretischen Positionen.
MARTY HUBER / Die Anatomie des Übersehen(d)en / swaying Vienna / Februar 2015
„All das ist im Augenblick sexuell und obszön, weil das niemals außerhalb des Obszönen ausgearbeitet und kultiviert werden konnte, und die Körper, die dort tanzen, sind vom Obszönen unabtrennbar, sie haben sich systematisch an das obszöne Leben gebunden, aber man muß diesen Tanz obszöner Körper zerstören, um sie durch den Tanz unserer Körper zu ersetzen.“ (Antonin Artaud: Das Theater der Grausamkeit)
Nehmen wir zuerst das Tempo aus unseren Blicken.
Den Druck der Analyse von unseren Erklärungsmustern.
Die Scheu vor einer unvoreingenommenen Wahrnehmung.
Auf den ersten Blick gibt es immer noch – unter den gegebenen Umständen – Ausformungen obszöner Körper; Körper, die die Szene nicht betreten sollen. Denn, obwohl der zeitgenössische Tanz die
Grenzen des Körperlichen regelmässig auslotet, wird oftmals von einer intakten Norm ausgegangen, die zerstört werden kann. Der Ausgangspunkt der Intaktheit, des sich in der richtigen Zeit
befindlichen Körpers, bleibt jedoch unangetastet.
Das Zeitfenster TAB – temporarily abled bodies – verbindet das regelmässige Übersehene: Generell gültige Vorstellungen von Normen, Körpern und Sexualität.
Während sich also viele innerhalb der Norm des Intakten und Natürlichen verorten, bilden sich an den Rändern des Wahrgenommenen neue Wahlverwandtschaften. Es sind dies Berührungspunkte und
Schnittflächen aus den Queer Studies, die die Vorstellung der Natürlichkeit von sozialem wie auch biologischem Geschlecht auflösen sowie aus den Disability Studies, die sich gegen die Idee der
Intaktheit des gesunden Körpers und Geistes wenden.
Beiden theoretischen Zweigen liegt eine tiefe Verwurzelung mit sozialen Bewegungen zu Grunde, soziale Bewegungen, die in der Ablehnung des Obszönen eine Befreiung des Körpers fordern.
„Und es genügte hierfür, sich an alle dramatischen, verdrängten und vergessenen Kräfte des menschlichen Körpers zu wenden. Es geht also dort wirklich um eine Revolution […]“ (Antoin Artaud: Das
Theater der Wissenschaft)
JURIJ KONJAR / Practice / swaying Vienna / Februar 2015
A dancer's score for an improvisation performance, to the music of Goldberg Variations. This score was developed between observing and interpreting the processes of Steve Paxton's Goldberg Variations. 14.3.2010.
Some years ago I was looking for a way to enter and maintain a daily practice of my own. For me, “daily practice” meant an environment to get to know every day; some kind of structure, allowing
entry into an open playground. After many misses, this structure came in the form of another dance work: a version of Steve Paxton’s improvisation to Goldberg Variations by J. S. Bach, captured
on video. I watched the video over and over again, trying to see what was beyond the apparent movement in Steve’s dancing; what was the un-grasp able, that never-the-less kept drawing my
attention. Then I would try it in the studio, repeating, observing, and learn as I went along. Imagination, not knowing, repetition, and continuity were a few of the many essential parts of the
process.
An integral part of the practice is that it keeps being reinvented, reacting to its own “need to know.” More than to lead, I tend to feed and follow that process. In it, everything can be used,
nothing should be kept.
Another part of the practice explores the structure and functionality of the body, working on sequencing and strength. The best place to practice these is while dancing, often with a specific
focus, using my dance training as much and as often as I can.
Though what I do manifests as dancing, the focus of the work is not dancing, or moving. I like to observe the processes that happen before and during the movement taking shape. I am here to feel,
touch, guide, follow; take choices consciously as well as unconsciously; allowing the body to find a way, using whatever I might not be consciously aware of at the moment. The physical me is
there to disappear through taking care of its own needs, finding its own way. To be at the same time an equal partner in dialogue, a sensory experience, a part of the circle. The body is there to
inform me of what is there to play with—the possibilities. It’s a translator, an initiator, and a feedback system; a vessel, and everything. It doesn’t begin with the flow of blood and end at the
surface of the skin. If it is fully present and tuned, then it does not exist, it does not call attention to itself. In my experience, the tuning takes personal investment: concentration, work,
and time. From what I know and what I hear from others, the process is never-ending, since it is not a place to arrive to but a place to observe and observe from, every day, neither beginning nor
ending at the borders of the studio. Furthermore; it’s a place that is different for each of us.
(This is an excerpt from page 36 of "the Goldberg observations", published by Contact Quarterly, vol. 36 no. 2, 2011.)
MICHAEL TURINSKY / Text-Auszug von Heteronomous Male / swaying Vienna / Februar 2015
Statt entweder dem Imperativ der Unterordnung immaterieller Arbeit unter das Kapitals zu gehorchen und den Körper der störungsfreien, transparenten Vermittlung eines bestimmten „Themas“ zu unterwerfen oder aber auf Kosten der Verarmung inklusiven Tanzes den Körper von allen thematischen Bezügen zu befreien, eröffnet inklusive Tanzpraxis einen Raum, worin die eigensinnige Materialität die materielle Opazität des behinderten Körpers einerseits und ein bestimmtes choreographisches „Sujet“ anderseits in ein produktives Spannungsverhältnis zueinander gesetzt werden und worin eben dieses Spannungsverhältnis als Wert eigener Art zur Darstellung kommt.
Um an die feministische Kritik an Jackson Pollocks „drip paintings“ anzuschließen: Inwiefern und inwieweit kann die Bodennähe des behinderten Tänzers als Kritik an der phallozentrischen
Vertikalität artikuliert werden?
In seinem herausragenden Aufsatz „Maskulinität, Solipsismus, Choreographie. Bruce Naumann, Juan Domingues, Xavier le Roy“ rekonstruiert Andre Lepecki die ursprüngliche Szene der Choreographie als
leere Kammer, in welcher ein einzelnes männliches Tänzer-Subjekt, zum Zweck der besseren Eingliederung ins soziale Leben, sich in die präzise Ausführung der schriftlich festgehaltenen
Instruktionen eines abwesenden Choreographen-Subjekts einübt.
Wenn nun die körperliche Einschreibung einer Instruktion bzw. eines Gesetzes, welches sich auf die Performativität des Subjekts bezieht, am behinderten Körper in spezifischer Weise scheitert –
wie kann dieses spezifische Scheitern der körperlichen Einschreibung des Gesetzes für eine kritische choreographische Praxis fruchtbar gemacht werden?
Inklusiver Tanz, also die gemeinsame künstlerische Praxis behinderter und nicht-behinderter Tänzerinnen und Tänzer, steckt, was deren theoretische Durchdringung so wie die Reflexion der
unterschiedlichen Arbeitsweisen derselben betrifft, gleichsam noch in den Kinderschuhen.
When I was a child I dreamed of becoming a football coach. Now instead …
Gesprochener Text aus "heteronomous male"
Michael Turinsky
STEVE PAXTON / Steve Paxton about DanceAbility / DanceAbility Day / April 2011
CONTACT IMPROVISATION stellt eine offene Form der Improvisation vor, die allen Menschen die Möglichkeit eröffnet, Tanz zu praktizieren. Dabei entwickeln die jeweiligen Duett-Partner ihre Bewegungs-Elemente auf Basis ihrer gemeinsamen tänzerischen/körperlichen Möglichkeiten.
Alito Alessi griff diese Grundidee auf und versuchte, sie auch für Menschen mit Behinderungen zu etablieren, und zwar jeder Art von Behinderung – und es funktionierte großartig: Das war die
Geburtsstunde von DanceAbility. Alito konnte nicht nur sehen, dass sich grundsätzlich jeder Mensch tänzerisch auszudrücken vermag, sondern er entdeckte auch, dass die zuvor so offensichtlich
erscheinenden Unterschiede durchlässiger wurden, um schlussendlich ganz zu verschwinden. Das Trennende zwischen behinderten und nichtbehinderten TeilnehmerInnen wurde langsam unsichtbar, während
sie miteinander tanzten.
Wenn ich mich in unserer Welt umsehe, stelle ich fest, dass diese Projektionen des Trennenden nahezu überall anzutreffen sind: In der Sprache, unseren Bildungssystemen, der Wirtschaft und den
Regierungen. Das Trennende wurde zur vorherrschenden An-schauung und somit nach und nach zur vorherrschenden inneren Einstellung. Kinder wachsen mit ihr auf, übernehmen sie und tragen sie in ihre
Lebensgestaltung hinein. Diese Trennungsprojektionen schweben wie eine „giftige Wolke“, um die simple Tatsache unserer Unzulänglichkeiten.
Giftig? Wie würde es sich für Dich anfühlen, wenn Du aus einem Grund den Du nicht ändern kannst, ausgegrenzt und in eine Randgruppe abgeschoben wirst?
Wolke? Schwer greifbar, immer im Schatten der gesellschaftlichen Wertesysteme.
DanceAbility hat die Kraft diese Wolke zu lüften. Mit der Kunst des Tanzes, der Kunst des Körpers. Du beginnst mit den Gegebenheiten deines Körpers – den Grundlagen jeder BODY/MIND Arbeit – und
langsam und sanft zeigt sich im Tanz mit dem Partner der gemeinsame Boden auf dem ihr steht, liegt – tanzt.
Die Einmaligkeit dieses Augenblicks, herbeigeführt, hervorgebracht, ja geschaffen durch die Einzigartigkeit eurer Begegnung, setzt Vertrauen voraus – Vertrauen auf das Verbindende. Hier ist das
genaue Gegenteil dessen gefordert, was sonst unhinterfragt als ausgemachte Sache gilt – ein Weg des Vertrauens, des Verbindens, ist ein Weg des Heilens. Das Heilen all jener Trennungen, die
überall fix vorinstalliert zu sein scheinen – in unseren Gesellschaften, unseren Gedanken und unseren Herzen.
DanceAbility ist eine Form des Heilens – nicht um Menschen mit Behinderungen zu heilen, sondern um alle, mit und ohne Behinderung, gemeinsam zu heilen. Bei diesem Tanz wird für kurze Zeit die
Struktur des „Getrenntseins“ aufgelöst, und das Spaltende unseres Denkens verliert seine Macht über uns. Genau dann sind unsere Herzen bereit, sich von der kreativen Kraft eines Partners, einer
Partnerin anstecken zu lassen. TRY IT. YOU WILL BE MOVED.
Steve Paxton
Mad Brook Farm, VT, 16 April 2011
(Übersetzt von G.R.)
MAD - Verein zur Förderung von Mixed-Abled Dance & Performance
c/o Impact HUB Vienna, Lindengasse 56/EG, 1070 Wien
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ZVR: 010222735